Aus Japan erreicht uns dieser Bericht von Frau Maria Shinoto:

Bericht über die »Messe Planungszellen in Japan« und die Tagung des Forschungskreises »Planungszellen in Japan« am 23. und 24. Februar in Tōkyō

     

Am 23. und 24. Februar 2008 habe ich an der »Messe Planungszellen in Japan« (Puranunkusutsere mihon’ichi) und am Treffen der  »Forschungsgruppe Planungszellen in Japan« (Nihon puranukusutsere

kenkyūkai) in Tōkyō teilgenommen. Die Messe war eine ganztätige Veranstaltung, bei der eine Auswahl von Projekten vorgestellt wurden, die in den letzten drei Jahren in Japan durchgeführt wurden.

Ich bin beeindruckt. Auf der Messe war der Saal brechend voll mit Gemeindevertretern, Mitarbeitern von Nicht-Regierungsorganisationen und Mitgliedern der Junior Chamber International Japan (JC), dass die Gänge noch während der Veranstaltung bis zum Eingang mit Stühlen vollgestellt werden mussten. Am Samstag, dem Tag der Messe, waren die Teilnehmer wirklich von morgens bis abends aufmerksam bei der Sache, in der Mittagspause waren die Restaurants rund um den Seinenkan im Herzen Tōkyōs, in dem die Messe stattfand, mit diskutierenden Teilnehmern überfüllt.

Die Leute, die sich hier in Japan um die Planungszelle (PZ, das Verfahren Bürgergutachten) bemühen, opfern einiges von ihrem Geld und fast alle Freizeit. Sie machen sich zunächst einmal nicht beliebt bei den Gemeinden (vor allem der Verwaltung) und nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern, die sich mehr für das interessieren, was direkt vor ihrer Haustüre geschieht. Daher ist es schwer, genügend Leute zur Teilnahme zu bewegen. Aber wer einmal teilgenommen hat, ist rundum begeistert, verzichtet manchmal sogar auf die Aufwandsentschädigung, damit die Veranstalter mit dem Geld weitermachen können. Das Interesse für die Teilnahme am öffentlichen Leben scheint durch die Planungszellen bei den Teilnehmerinnen geweckt zu sein, viele Teilnehmer geben nach den Veranstaltungen solche Rückmeldungen. 

Außerdem bekunden sogar Vertreter von Gemeindeverwaltungen, die sich vorher gegen die PZ gewehrt hatten, daß sie ihre Meinung geändert hätten und unbedingt weitere PZ in ihrer Gemeinde als Entscheidungshilfe durchgeführt sehen möchten.

Es gibt einige Unterschiede zwischen den Planungszellen in Japan (sie werden unter diesem Namen in Japan durchgeführt) und den Planungszellen oder Bürgergutachten, wie sie in Deutschland meist genannt werden. Ein großer Unterschied ist der, dass es sich um kleine Veranstaltungen mit wenig finanziellem Aufwand handelt, aber dafür sind die Veranstalter eben fest entschlossen, jedes Jahr solche PZ zu veranstalten. Die Veranstaltungen dauern nur ein bis zwei Tage und haben oft nur wenige Teilnehmer, weil es keinen Zwang oder Druck von seiten der öffentlichen Verwaltung gibt und das Interesse an öffentlichem Engagement grundsätzlich eher gering ist. So scheint mir gerade die Stetigkeit, mit der Planungszellen an denselben Orten durchgeführt werden, ein sehr gutes, vor allem für Japan geeignetes Mittel zu sein: 

Hier sind die Politikverdrossenheit und Obrigkeitshörigkeit so ausgeprägt, dass Politik nur als schmutziges Geschäft empfunden wird und sich die „anständigen“ Leute davon lieber fern halten und ihr privates Glück suchen.

Mit der Planungszelle ändert sich diese Sicht, und besser als große Events scheinen mir die stetigen Veranstaltungen, stetige Berichterstattung, bei der sich allmählich die Erkenntnis durchsetzt, dass man selber gestalten kann, und dass die Bürger nicht nur bei der Arbeit der Beamten stören, sondern eben auch hilfreich sein können.

Seit 2005, als die erste Planungszelle als Experiment in Tōkyō durchgeführt wurde, ist die Zahl jährlich angestiegen: 2006 waren es 3, 2007 18 Planungszellen, die durchgeführt wurden; für 2008 sind über 30 schon in Vorbereitung, die Zahl wird weiter steigen. In einigen Orten haben schon mehrere PZ stattgefunden, und dieses Jahr breitet sich das Verfahren, das zunächst in Tōkyō und Nordjapan angewendet wurde, auch weiter nach Westjapan aus. Das wichtigste ist allerdings, daß in den großen Städten, vor allem in Tōkyō viel in der Hinsicht gemacht wird, denn die Vorbildfunktion von Tōkyō für die Provinz ist – leider – nicht zu unterschätzen.

Die Organisatoren rühmen einige Eigenschaften der Planungszellen, die auch mich besonders faszinieren: Gruppengrößen, in denen sich keiner verstecken kann und jeder zu Wort kommt, Teilnehmerwechsel, damit sich keine Rollen festfahren, Reden ohne Beobachtung von außen (wenngleich das in den ersten Veranstaltungen wegen des Versuchscharakters manchmal schwierig war) und langsame Entscheidungsfindung (auch das bei ein bis zwei Tagen nicht immer ideal durchgesetzt) ohne simple Abstimmung am Schluss, sondern mit ausgewogenen Berichten (Bürgergutachten).

Ganz wichtig und beeindruckend war für mich, wie die Organisatoren die einmal durchgeführten Planungszellen verarbeiten: Es wird nicht nur in jedem Fall ein ausführliches Gutachten zum Thema erstellt, sondern in dem Bericht wird immer festgehalten, was positiv, was negativ war, was beim nächsten Mal anders versucht werden sollte. Dabei wird immer wieder geprüft, ob die ursprüngliche Idee auf diese Weise richtig zur Geltung kommt. Reflexion und Weitergabe der Erfahrungen – in den Berichten, aber eben auch in den Vorträgen der „Messe“ – das ist eine Seite der japanischen Planungszellen, die mich besonders beeindruckt hat.

Es werden in Japan momentan verschiedene Verfahren der Bürgerbeteiligung getestet, und dabei gilt leider auch, dass alles Neue, besonders aus Amerika, gut ist. Wissenschaftler von Renommée haben oft in den USA studiert und können keine Fremdsprache außer Englisch. So haben Verfahren, die aus den USA oder England kommen, m. E. einen strategischen Vorteil. In der Tat bemühen sich wohl auch Wissenschaftler, die »Maschine JC«, ein landesweites Netzwerk engagierter junger Bürger und NGOs, auf ihre Seite zu bringen, um »ihre« Verfahren durchzusetzen. Das wurde in den Pausengesprächen diskutiert, und ich war begeistert, mit welcher Leidenschaft die Vorteile der PZ gegenüber kurzfristigen Großveranstaltungen unter Anleitung von Facilitators (englischer Ausdruck für Moderatoren) betont wurden und der Wille, sich nicht von medienwirksamen Events einfangen zu lassen.

Nach der »Messe«, die ganztags am Samstag stattfand, traf sich am Sonntag vormittag die Forschungsgruppe Planungszellen in Japan, eine Gruppe von etwa 30 Leuten, die sich zum Teil aus den Akteuren des Vortages rekrutiert und insgesamt einen größeren Anteil an Wissenschaftlern aufweist. Prof. Dr. Susumu ŌMURA berichtete über seine sozial-psychologischen Untersuchungen zur Wirkung der Planungszellen in Lengerich, und Prof. Akinori SHINOTO berichtete über zwei abgeschlossene EU-Projekte, in denen Planungszellen durchgeführt wurden. War die Veranstaltung am Vortrag gekennzeichnet durch viel Enthusiasmus und die Konzentration auf praktische Fragen, so wurde hier an dem theoretischen Fundament und der Ausweitung der Möglichkeiten in ruhigerer Atmosphäre gearbeitet. Ein perfektes Wochenende, das einem viele Facetten der Bürgerbeteiligung gezeigt hat.

Es tut sich viel in Japan, es macht Spaß, dabei zu sein. Auch wenn sich einiges in der Form der PZ gegenüber dem ändern wird, was Peter Dienel sich vorgestellt hat, scheint mir das, was hier passiert, doch ganz in seinem Geist zu sein.

M.S.