Faire Beteiligung

 

Wann empfindet „die Öffentlichkeit“ ein Beteiligungsverfahren als fair, also gerecht und gut? Mit Öffentlichkeit sind diejenigen Bürgerinnen und Bürger gemeint, die selber nicht direkt am Verfahren – also zum Beispiel an einem Bürgergutachten – mitwirken. Ist die Akzeptanz eines solchen Verfahrens davon abhängig, welche Meinungen die Menschen von der Sache haben, über die nachgedacht und entschieden wird? – Diese Fragen hat ein japanisches Wissenschaftlerteam untersucht.

 

Fallstudie: Karlsruher Nahverkehr

 

Unter anderem wurden dazu auch in Deutschland etwa 300 Personen in Karlsruhe schriftlich befragt. Der Fragebogen umfasste zehn Seiten mit vielen Fragen.

 

In Karlsruhe war darüber gestritten worden, ob die Stadtbahn teilweise in den Untergrund verlegt werden sollte. Es gab eine heiße öffentliche Debatte, Bürgerinitiativen entstanden, und es kam zu einem Bürgerbegehren. Daraufhin entschloss sich die Stadtpolitik zur mehrstufigen Bürgerbeteiligung mit einem kleinen Bürgergutachten. In separaten Foren wurden Interessengruppen, aktive Bürger und schließlich auch im Zufallsverfahren ausgewählte Bürger beteiligt. Die Interessengruppen (Verbände) und die durch das Los bestimmten Bürgergutachter entschieden sich für den von der Stadt vorgeschlagenen „Kombiplan“ von Untertunnelung und Verlegung der Gleise. Dann gab es einen Bürgerentscheid: 55 Prozent stimmten für den Kombiplan.

 

Spannend war nun die Frage: Wie sieht jemand, der gegen den Kombiplan gestimmt hat, die Bürgerbeteiligung – und zwar getrennt nach Verfahren und Ergebnis? Vertraut er dem Verfahren auch dann, wenn ihm das Ergebnis nicht passt und er überstimmt worden ist? Und wie sehen die Menschen das Beteiligungsverfahren, die mit Ja gestimmt haben? Was ist mit den Personen, denen die ganze Sache egal war? Nicht zuletzt wurden auch Teilnehmer des Verfahrens befragt.

 

Karlsruher Ergebnisse: Verfahren und Ergebnis beeinflussen die Beurteilung

 

Als fair bezeichnen die Wissenschaftler ein Verfahren,

1. bei dem die Teilnehmer die nötigen Informationen bekommen,

2. das für alle Bürger zugänglich ist, und

3. in dem die ganze Bürgerschaft repräsentiert wird.

(Dabei können sich 2. und 3. sehr leicht widersprechen: Entweder nehmen die aktiven Bürgerinnen und Bürger aus eigenem Antrieb teil, oder aber man versucht, alle Bevölkerungsgruppen einzubeziehen, also auch diejenigen, die nicht von sich aus aktiv würden. Beides wurde in Karlsruhe in verschiedenen Stufen des Verfahrens gemacht, mit unterschiedlichem Ergebnis.)

 

Ob die Öffentlichkeit, also die nicht direkt beteiligten Bürger, ein solches Bürgerbeteiligungsverfahren akzeptieren, das hängt vor allem von zwei Punkten ab:

  • vom Verfahrensablauf und
  • von den inhaltlichen Ergebnissen.

 

Diejenigen Befragten, die im Bürgerentscheid mit Nein gestimmt hatten, fanden nicht nur das Ergebnis des Beteiligungsverfahrens schlecht, sondern bewerteten auch das Verfahren selbst kritisch. Wer mit Ja gestimmt hatte, fand auch das Verfahren fair. Viele Bürgerinnen und Bürger unterscheiden also nicht zwischen der materiellen (inhaltlichen) und der formalen (verfahrenstechnischen) Seite. Wem das Ergebnis nicht passt, dem passt auch das Verfahren nicht. Allerdings begrüßten auch die Personen, die sich am Bürgerentscheid nicht beteiligt hatten und die der Sachfrage neutral gegenüberstanden, das Bürgerbeteiligungsverfahren als fair.

 

Wichtiger erscheint ein anderes Ergebnis der Umfrage: Die Einschätzung des Verfahrens als fair hängt – nach dieser Umfrage – mehr von der Zugänglichkeit der Informationen und der Offenheit ab als von der Repräsentativität der Teilnehmer.

 

Fallstudie: Abfallwirtschaft in Tsushima

 

Die japanische Stadt Tsushima war bereits führend auf dem Gebiet der Abfallvermeidung und -verwertung, als das Gerücht aufkam, von den Einwohnern sorgsam getrennte Abfallarten würden doch wieder mit anderen Müllarten zusammengeworfen. Die Stadt entschloss sich, ein neues Abfallwirtschaftskonzept zu erstellen – dieses Mal mit Bürgerbeteiligung.

 

Nach diesem Beteiligungsverfahren wurden 1.500 Fragebögen an Einwohner(innen) versandt, 661 kamen zurück. Diese wurden mit statistischen Verfahren ausgewertet.

 

Ergebnisse aus Tsushima: mehr Vertrauen durch faire Beteiligung

 

Die Vermutung, dass ein gutes Bürgerbeteiligungsverfahren auch unter der Gesamtbevölkerung das Vertrauen in die Stadtpolitik und -verwaltung stärkt, konnte bestätigt werden. Dazu trug aber auch in Japan nicht nur das Verfahren selbst bei, sondern auch seine Ergebnisse waren für die Einschätzung wichtig, und zwar in starkem Maße.

 

Die Akzeptanz des Beteiligungsverfahrens hing hauptsächlich von der Güte der Ergebnisse ab (vor allem davon, ob die Vorschläge der beteiligten Bürger umsetzbar sind). Die Fairness des Verfahrens maßen die Befragten vor allem daran, ob wirklich die Bürger zu Wort kamen (und nicht nur Interessengruppen oder Experten). Außerdem war wichtig, ob die Teilnehmer die nötigen Informationen erhielten, ob sie verfolgen und beeinflussen konnten, was aus ihren Vorschlägen wird, und wie repräsentativ die Teilnehmer für die Gesamtbürgerschaft sind.

 

Vorläufiges Fazit

 

Die Haltung zu einer Sache prägt bei vielen Befragten das Bild vom Verfahren, obwohl beide nichts miteinander zu tun haben müssen. Aber es gibt noch andere Qualitätskriterien für gute, faire Bürgerbeteiligung:

  • Kommen wirklich Bürger zu Wort, die die Gesamtbevölkerung widerspiegeln?
  • Bekommen sie die nötigen Informationen?
  • Erfahren sie, was aus ihren Vorschlägen folgt, ob und wie sie umgesetzt werden?

 

Weitere Forschung

 

Diese ersten Ergebnisse aus zwei Fallstudien sollen jetzt durch weitere Forschung in Deutschland und Japan ergänzt und erweitert werden. Zum Beispiel sollen die Teilnehmer von Beteiligungsverfahren auch befragt werden, damit ein Vergleich gezogen werden kann.

 

 

Quellen: Y. Hirose, S. Ohnuma und K. Ando: Procedural fairness as evaluative yardstick of citizen participation in the public transport plan, in: The 3rd International Conference on Traffic and Transportation Psychology (Konferenzpapier, noch nicht anderweitig veröffentlicht);

Yukio Hirose und Shoji Ohtomo: Procedural Fairness of citizen participation as determinant of waste management plan (Vortrag auf der 6th Biannual Conference on Environmental Psychology in Bochum).

Zusammenstellung mit freundlicher Genehmigung der Autoren: Hilmar Sturm (September 2005)