Auf dem 2. Münchner Methoden-Fachforum des Netzwerk Gemeinsinn e. V. Anfang April 2009 haben Wolfgang Fänderl (Netzwerk) und Dr. Hilmar Sturm (gfb) mit den Teilnehmern darüber diskutiert, ob es für die Bürgerbeteiligung von morgen allgemeingültige »Faustregeln« oder »Faustformeln« geben sollte.

Lange Vorarbeit war vorausgegangen, und auch nach der Fachtagung ist die Frage nicht geklärt. Ein Bedürfnis nach einigen allgemeinen, leichtverständlichen Regeln fürs Wesentliche besteht aber, wie unsere Erfahrung zeigt, und zwar bei Bürgerinnen und Bürgern, Politikerinnen und Politikern und in der Verwaltung. Und sei es nur, um schnell zu erkennen, ob ein Beteiligungsverfahren seriös und brauchbar ist.

Die Diskussion ist keineswegs abgeschlossen, aber für mich (Hilmar Sturm) hat sich diese »FAUSTformel« herauskristallisiert: fünf Finger – fünf Punkte:

F  für  Folgen, die die Bürgerbeteiligung haben muss

A  für  Alle, die eine Chance haben, mitzureden

U  für  Unabhängigkeit der Moderatoren und Organisatoren

S  für  Simpel/Simplizität

T  für  Transparenz

F) Bürgerbeteiligung darf nicht nur eine Spielwiese oder ein Feigenblatt sein. Wer sich Zeit nimmt und mitarbeitet, tut das nur ernsthaft und gern, wenn er weiß, dass seine Einschätzungen und Vorschläge Gehör finden. Zumindest eine Antwort von politischen oder Verwaltungsinstanzen sollte er bekommen. Noch besser ist aber, wenn vorher schon klar ist, inwieweit Empfehlungen einfließen und wirken können. (Siehe auch beim »T«.)

A) Bürgerbeteiligung heißt, dass zumindest alle Gruppen von Betroffenen mitreden können, am besten aber alle Gruppen der Gesellschaft. Natürlich kann meistens nicht jeder einzelne mitarbeiten; wer würde auch zu jedem Thema ständig befragt werden wollen? Für uns ist die Zufallsauswahl in den meisten Fällen das beste Mittel: Da hat jeder die gleiche Chance, und es wird ein breiter Querschnitt der Bevölkerung ausgewählt.

U) Kleinere Bürgerbeteiligungsverfahren können auch in einem Dialog zwischen Politik/Verwaltung einerseits und Bürgern andererseits ohne Moderatoren von außen bestehen. Aber das ist problematisch. Besser ist es meistens, wenn jemand die Sache organisiert und moderiert, der keine eigenen Interessen hat und die Probleme als Außenstehender mit Distanz sieht, nicht persönlich mit Politik und Teilnehmern verflochten ist und der außerdem Erfahrung und auch wirklich Zeit dafür hat: ein unabhängiger Durchführungsträger und neutraler Moderator oder Prozessbegleiter, sozusagen der ehrliche Makler.

S) Man kann ein Verfahren auch so austüfteln, dass es überkompliziert wird. Es gab schon Bürgerbeteiligung, die daran beinahe gescheitert ist. Am besten ist ein einfaches, klar strukturiertes Vorgehen. (Das »S« könnte auch für die klare Struktur stehen.) «Keep it simple» ist eine gute englische Faustregel. Nur einfache Verfahren sind auch transparent (siehe T) und können von allen Beteiligten sowie auch von Außenstehenden (den anderen Bürgern!) verstanden und mit Leben gefüllt werden.

T) Jedes Verfahren ist so vertrauenswürdig wie es durchsichtig ist. Transparenz ist also eine wichtige Eigenschaft von Bürgerbeteiligungsverfahren. Es muss klar dargelegt werden, wer der Auftraggeber ist, wie die Teilnehmer ausgewählt worden sind, wer was bezahlt, von wem die Ergebnisse kommen, wie sie verarbeitet worden sind, welche Spielräume für die Verwirklichung von Vorschlägen bestehen  usw. Und es gehört dazu, dass die Teilnehmer das Verfahren bewerten können und diese Bewertung zusammen mit einer Beschreibung des Verfahrens und den Ergebnissen veröffentlicht wird. Bürgerbeteiligung für die Schublade ist keine Bürgerbeteiligung.

Sicherlich sind das nur die ersten, vielleicht wichtigsten Punkte. Im Grunde müsste man alle Interessengruppen danach fragen, was für sie bei der Bürgerbeteiligung von morgen am wichtigsten ist. Bastian Goßner hat das immerhin für die Bürger selbst am Beispiel der Stadtentwicklung in einer Befragung getan (die Arbeit kann hier heruntergeladen werden.)

Aber Faustregeln sind eben nur »über den Daumen gepeilt«, und das genügt auch. Als Praktiker, der sich auch theoretische Gedanken gemacht hat, traue ich mich, die fünf Punkte hinzustellen und sie anderen zum Nutzen und Weiterdenken anzubieten.

Die Diskussion über die Qualität und über Qualitäts-Kriterien von Bürgerbeteiligungsverfahren allgemein und von Bürgergutachten geht weiter. Im Herbst soll ein Buch erscheinen, in dem auch ein Beitrag von Hilmar Sturm über Qualitätskriterien für Bürgergutachten (Planungszellen) vorgesehen ist.

Dr. Hilmar Sturm

Siehe auch:

Qualitätsfrage weiter Thema Qualität in der Bürgerbeteiligung: Ergebnisse einer Methodenwerkstatt